Jahr für Jahr steigt in Deutschland die Miete – und mit ihr die Frustration vieler Mieter. Dabei scheint die Erklärung doch so einfach: In der Volkswirtschaft gilt seit Jahrhunderten die Faustregel, dass Angebot und Nachfrage die Preise regeln. Wenn ein Gut knapp ist, wird es teurer. Doch steigt der Preis zu stark, zieht das neue Anbieter an, die für Ausgleich sorgen. So zumindest die Theorie.

Auf dem Immobilienmarkt jedoch funktioniert diese Marktlogik nicht. Die Preise steigen, aber der dringend erwartete Ausgleich bleibt aus. Die Mieten klettern weiter, die Neubauten bleiben hinter den Zielen zurück, und für viele Familien wird das Wohnen zur Belastungsprobe. Ein Blick auf die Mechanismen des Marktes zeigt: Ohne staatliche Eingriffe wird sich daran nichts ändern.
Warum Angebot und Nachfrage bei Immobilien nicht funktionieren
Das Gesetz von Angebot und Nachfrage wirkt in vielen Märkten fast wie ein Naturgesetz. Der Aktienmarkt zeigt dies täglich: Steigt das Interesse an einer Aktie, schnellen die Kurse hoch. Bei zu hohen Kursen verkaufen Anleger, das Angebot steigt – und die Preise normalisieren sich. Ein ständiges Auf und Ab, das für Stabilität sorgt.
Auf dem Wohnungsmarkt jedoch bleibt diese Dynamik aus. Seit 2015 sind die Kaufpreise für Immobilien in Deutschland im Durchschnitt um mehr als 60 Prozent gestiegen, die Mieten kletterten seit 2019 um rund 24 Prozent. In Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg stiegen die Preise sogar doppelt so stark. Der erwartete Neubau-Boom blieb jedoch aus. Stattdessen verzeichnete Deutschland 2024 gerade einmal 252.000 fertiggestellte Wohnungen – ein Bruchteil dessen, was Experten für notwendig halten. Die selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen jährlich wirken da wie ein unerreichbares Versprechen.
Bauland, Bürokratie und Baukosten: Die Bremsklötze des Neubaus
Warum bleibt das Angebot so träge? Zum einen ist der Bau neuer Wohnungen ein hochkomplexer und langwieriger Prozess. Zwischen Planung, Genehmigung und Fertigstellung können Jahre vergehen. Anders als bei Konsumgütern wie Smartphones oder Kleidung, die flexibel auf Nachfrage reagieren, ist der Wohnungsbau ein immobil gewordenes System.
Hinzu kommt, dass Bauland ein knappes Gut ist. Kommunen entscheiden, wo gebaut werden darf – und die Ausweisung neuer Flächen ist in Deutschland ein bürokratischer Kraftakt. Viele Städte sind zudem schlicht voll: Infrastruktur wie Straßen, Wasser- und Stromversorgung setzen natürliche Grenzen.
Auch die Baukosten spielen eine entscheidende Rolle. Gestiegene Materialpreise, höhere Löhne und strenge Energiestandards machen den Neubau teuer – zu teuer, um günstigen Wohnraum in ausreichender Menge zu schaffen. Private Investoren haben daher kaum Anreize, preiswerte Mietwohnungen zu bauen, sondern setzen eher auf Eigentumswohnungen oder hochpreisige Projekte, die sich besser rechnen.
Migration und Urbanisierung verstärken die Nachfrage
Während das Angebot stagniert, steigt die Nachfrage kontinuierlich. Städte bleiben attraktiv, weil sie Jobs, Bildungseinrichtungen und Infrastruktur bündeln. Hinzu kommt die demografische Entwicklung: Kleinere Haushalte, mehr Alleinlebende und Zuzug aus ländlichen Regionen sorgen für zusätzliche Nachfrage. Auch die Aufnahme von Geflüchteten trägt dazu bei, dass Wohnraum vor allem in Ballungszentren knapper wird.
Das Ergebnis: Ein Ungleichgewicht, das sich über Jahre aufgestaut hat. Der Markt allein ist nicht in der Lage, dieses Missverhältnis zu korrigieren.
Welche Instrumente der Staat wirklich hat
Wenn der Markt nicht regelt, bleibt nur der Staat als Korrektiv. Schon jetzt existieren Instrumente, die den Preisanstieg bremsen sollen:
- Mietpreisbremse: Sie begrenzt Mieterhöhungen in Bestandswohnungen, lässt aber zahlreiche Ausnahmen zu, etwa für Neubauten oder möblierte Wohnungen.
- Kappungsgrenze: Vermieter dürfen Mieten nur um maximal 15 bis 20 Prozent in drei Jahren anheben.
- Förderprogramme: Zuschüsse und vergünstigte Kredite sollen Investoren dazu bewegen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Doch bislang greifen diese Maßnahmen nicht stark genug. In Berlin zeigte der 2020 eingeführte Mietendeckel, dass strikte Regulierung kurzfristig für Entlastung sorgen kann – das Bundesverfassungsgericht kippte das Gesetz jedoch wieder. Politisch bleibt das Thema umkämpft, während die Realität für Mieter immer angespannter wird.
Der Weg nach vorn: Mehr Mut zur Regulierung
Langfristig braucht es ein Zusammenspiel von staatlicher Steuerung und privater Initiative. Bürokratische Hürden beim Bau müssen abgebaut, Bauland schneller ausgewiesen und Förderungen zielgerichtet eingesetzt werden. Gleichzeitig darf der Markt nicht allein gelassen werden – denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Er sorgt nicht für sinkende Mieten, sondern für wachsende Ungleichheit.
Die Hoffnung vieler Mieter, dass sich die Preise von selbst normalisieren, wird sich nicht erfüllen. Nur durch entschlossene politische Maßnahmen kann der Teufelskreis aus steigenden Kosten und stagnierendem Neubau durchbrochen werden. Wohnen ist kein Luxusgut, sondern Grundbedürfnis – und damit zu wichtig, um ihn allein den Kräften des Marktes zu überlassen.
